:: Politisches aus Frankfurt (Oder) ::

Stadtleben

Liebe in der Medienkrise: Frankfurt Oder als Scheidungskind

Immer wieder kommen Journalisten aus Berlin in den Osten Brandenburgs, um sich nach dem Elend der Gegenwart umzuschauen. Und was sie suchen, finden sie auch: das Trauma der post-industriellen Stadt, die immerwährenden Erscheinungen ostdeutscher Weltfremdheit, die Lethargie sterbender Innenstädte, das Missverständnis eines Europas von oben… die Themen kennt man. Die Anlässe wechseln. Wessimobbing,10 Jahre Wiedervereinigung, das Ende der Chipfabrik, leerstehende Wohnungen, falscher Nazi-Alarm. Der Berliner Tagesspiegel fand noch Ende vergangenen Jahres heraus, dass Frankfurt die höchste Scheidungsrate Deutschlands hat – auch kein schlechter Anlass. Verena Mayer machte sich auf den Weg an den Rand des Landes und fand eine Stadt vor, in der das Problem der Einsamkeit zur Kernfrage wird. Ihre Reportage über die “Liebe in den Zeiten der Arbeitslosigkeit” ist voller Verständnis für Petra H., für die es längst aus ist mit ihrem Mann. Sie begleitet sie ins Amtsgericht, fragt nach, erzählt von Neuberesinchen, der Oderturm dient der Orientierung, sie fährt in den 24. Stock, blickt nach Polen herüber, erwähnt Halbe Treppe. Frankfurt Oder ist der Ort, wo “die Liebe nur schwer dem Alltag stand hält”. Aber die Statistik spricht auch “für den Unwillen der Frauen, sich alles gefallen zu lassen”, wie Rechtsanwältin Renate Struck vermutet. Das Wohnungsproblem wird angesprochen, der Verwalter des Leerstands als optimistischer Don Quichote dargestellt. Verena Mayer hat doch Verständnis für Frankfurt. Und so endet ihre Reportage mit den menschlichen Worten: “Auf Deutsch gesagt: es kommt immer darauf an, womit man sich vergleicht. Wenn man sich immer nach etwas anderem sehnt, kommt es nie.” Vielleicht keine gelungene PR für den Investitionsstandort Frankfurt (Oder), aber auch kein bösartiger Verriss. Doch wie kann man durch Frankfurt laufen, auf der Suche nach Gründen für das Scheidungsproblem, ohne über die Oder zu laufen und zu verstehen, dass die Stadt ein Scheidungskind ist, dass bei aller Abgeschiedenheit von Slubice im Bewusstsein der Hinzugezogenen die Geschichte der verlorenen Dammvorstadt wie ein Trauma über der Stadt liegt. Natürlich handelt es sich um ein wohl gehütetes Tabu, etwas, was man aus Rücksicht nicht anspricht, aber es ist doch auffällig. Wie kann man aus Berlin anreisen, ohne dies zu bemerken? Die Vermutung liegt nahe: dann könnte man Frankfurt nicht wie eine Stadt am Rande darstellen, man müsste über den eigenen Tellerrand hinaus schauen, die Grenze überschreiten, Polnisch sprechen oder sich einen Dolmetscher organisieren und nach ganz anderen Geschichten suchen: den Ehen von Deutschen und Polen, der wachsenden Scheidungsrate in einem katholischen Land. Vielleicht wäre so zu Tage gekommen, dass Slubice auch die höchste Scheidungsrate im ganzen Land hat. Arbeitslosigkeit, Verarmung und sozialen Unmut teilen beide Städte als Probleme. Die Karten im Tagesspiegel stützen die Vermutung: Mal wieder ein Stadtplan, auf dem hinter der Oder die graue Terra Incognita namens Polen beginnt. Auf der Orientierungskarte gar (12 Jahre nach der Wiedervereinigung) eine Karte, auf der nur Ostdeutschland erscheint, Frankfurt Oder erscheint so selbstverständlich am äußersten Rande der ehemaligen DDR. Vielleicht ist das Problem der Liebe in den Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht nur für Frankfurt relevant, sondern auch für Slubice, aber auch für die deutschen Medien.