:: Politisches aus Frankfurt (Oder) ::

Stadtleben

Die langsame Bewegung Erinnerung an den Sommer

Ein Pianist sitzt jeden Tag vor den Sieben Raben. Sein dunkles Haar fällt auf ein von Rüschen bedecktes weißes Hemd. Er beobachtet die Stadt mit schwarzen Augen. Sie sitzt vor ihm unter gelben Sonnenschirmen auf Stühlen aus schwerem Metall. Ergrautes Haar. Eiscafé und Kuchen. Ein Zeitungsleser. Dazwischen eine Familie. Zurückgelehnt spielt der Mann die Musik zur Stadt. Sie plätschert dahin. Nur die Frauen vom Café Diana eilen – eine Spur zu hektisch für die Leere des Marktes. Zuerst erklingt ein Computer animiertes Orchester. Ein verschwommen beschwingter Marsch. Dann setzt die Melodie ein: der Blues von Frankfurt. Melancholisch, kleinstädtisch und nicht ohne Ironie. Die Gäste fühlen sich wohl. Der Musiker lächelt geheimnisvoll. Als hätte er mehr zu sagen. Auskünfte erteilt er für 50 Euro. Er erscheint in seiner Einsamkeit so frei wie ein Vogel am wolkenlosen Himmel. Die Grenze überquert er täglich auf seinem Herrenrad – man erkennt ihn von weitem an der aufrechten Haltung und dem nach vorn gestreckten Haupt. Und doch kann er sich nicht lossagen von Frankfurt, wo er seit Jahren von Café zu Café zieht, um sein Repertoire in einer stundenlangen Endlosschleife nur unterbrochen von Improvisationen zu wiederholen. Vor dem Café Diana hat er endlich die richtige Bühne gefunden – vor Dutzenden Gästen im gesellschaftlichen Epizentrum der Innenstadt. Seine Musik ist zum Teil dieses Orts geworden. Durch die eintönige Lebenskraft seiner Melodien bekommt man eine Ahnung von der Existenz einer neuen und alten Stadt, die gleichzeitig im Untergang und Aufbruch begriffen ist. Hier ist der einzige Ort, wo sich die Lebensläufe derer, die die Stadt aufgebaut haben, der alten Halbleiterwerker, der wenigen verbliebenen Dämmler, der Akademiker und Studenten der Viadrina sowie einiger Touristen für einen Moment nicht nur kreuzen, sondern zu einem Bild verdichten – ein Bild in langsamer Bewegung.