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Stadtleben

Meridian der Gleichzeitigkeit – die mitteleuropäische Zeit an der deutsch-polnischen Grenze

Wussten Sie schon, dass wenn die Marienkirchenuhr in Frankfurt 12 Uhr schlägt, es in Wirklichkeit gar nicht zwölf Uhr ist? Es ist dann genau 11 Uhr 58 Minuten und 13 Sekunden. Wieso ist das so? Um diese Frage zu beantworten muss man in die Geschichte schauen.

Frankfurt Oder Słubice liegt bekanntlich mitten in Europa. Und mitten in Europa gilt als Standardzeit die Mitteleuropäische Zeit (kurz: MEZ, oder engl. CET). Die Aufteilung der Weltkugel in 24 Zeitzonen erfolgte schon 1884, in der Blütezeit der Standardisierung (so wurde nur 8 Jahre früher der Meter international eingeführt) und des europäischen Imperialismus. Kein Wunder also, dass der sog. Nullmeridian, der ja bekanntermaßen in Greenwich in der Nähe von London mitten im damaligen Britischen Empire verläuft, als Bezugspunkt für alles andere genommen wurde. Die Mitteleuropäische Zeit ist der Greenwich-Zeit (Greenwich Mean Time, ab 1972 einfach Universal Time) um eine Stunde “voraus”, und wird am 15. Längengrad östlich von Greenwich gemessen – also in Görlitz!

Wozu aber eine Standardzeit? Das verdanken wir zum großen Teil der Eisenbahn. Stellen Sie sich mal vor, was für eine Qual es für ein Bahnunternehmen war, Fahrpläne festzulegen oder gar abzustimmen, wenn z.B. jeder deutsche Teilstaat seine eigene Lokalzeit hatte! Noch 1891 war es zur gleichen Zeit in Baden 12:34, während es in Württemberg schon 12:37 war. So war es auch die Eisenbahn, die als erste die Standardzeit GMT+1 einführte (die preußische Eisenbahn tat es am 1.06.1891). Am 1. April 1892 taten es alle süddeutschen Staaten, und genau ein Jahr später beschloss der Reichstag die MEZ als Standardzeit für das Deutsche Reich einzuführen. Zuletzt wurde das Zeitgesetz (genau so!) am 13. September 1994 in Deutschland geändert. Da schon von Standardisierung die Rede war, darf man nicht unerwähnt lassen, dass auch die Zeit einem internationalen Standard unterliegt, nämlich dem ISO 8601, dass als Europäischer Standard EN 28601 übernommen wurde, und im gesamten EU-Territorium gilt. Beide Standards regeln auch die korrekte Schreibweise der Tageszeit und des Datums, die für heute so aussehen würde: 2003-03-29, auch wenn man lokale Variationen zulässt.

Die Mitteleuropäische Zeit (im Militärjargon “Alpha” bezeichnet) ist in den letzten einhundert Jahren sehr expandiert, was sich dadurch ausdrückt, dass es zur gleichen 12 Uhr in A Coruña an der Atlantikküste Spaniens und in Augustów in Nordostpolen ist (ein Versuch, auch Litauen der MEZ-Zone anzuschließen, scheiterte bereits nach einem Versuchsjahr 1999). Wie sich das auf das Alltagsleben auswirkt, kann man sich vorstellen, wenn man bedenkt, dass der wirkliche Zeitunterschied zwischen diesen zwei Orten 2 Stunden und 20 Minuten beträgt. Auf Deutschland übertragen bedeutet das, dass der tatsächliche Zeitunterschied etwa zwischen Aachen und Görlitz 36 Minuten ausmacht.

Sogar in Frankfurt und Słubice, so nah beieinander wie sie nun mal liegen, müsste man korrekterweise auch von einem Zeitunterschied sprechen. Frankfurts genaue geographische Lage ist: 52o 20′ 40” nördlicher Breite und 14o 33′ 22” östlicher Länge, während die ca. 250 Meter der Stadtbrücke, die die beiden Städte trennen einen geographischen Unterschied von ca. 14” ausmachen. Bei solchen Größenverhältnissen ist der Zeitunterschied aber verschwindend gering.

Das alles würde aber noch nicht erklären, warum Sie eigentlich mitten in der Nacht aufstehen sollten, um Ihre Uhren von 2 Uhr auf 3 Uhr vor zu stellen. Das verdanken wir der Einführung der Mitteleuropäischen Sommerzeit, einer künstlichen Zeit, die zum ersten Mal im Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde, und in der Erdölkrise wieder aufgenommen wurde. Und das alles, um Energiekosten zu sparen!

Frankfurt, und mit ihm ganz Ostdeutschland, erlebten z.B. im Jahr 1945 gleich drei Zeitumstellungen! Am 2. April begann die Sommerzeit, die bis 16. September dauern sollte, aber mit dem Einmarsch der Sowjets schon am 24.05 wieder um eine Stunde nach vorne verschoben wurde, was bedeutete, dass die Uhren in der Sowjetischen Besatzungszone plötzlich die Osteuropäische Zeit anzeigten, während z.B. in Polen weiterhin die MEZ galt. Am 24.09 wurde die Uhr wieder um eine Stunde zurück gestellt. Das Durcheinander wiederholte sich noch einmal im Jahre 1947, als man zwischen April und Juni gleich dreimal die Uhr umstellte.

Wenn Sie also wieder einmal mitten in der Nacht merken, dass man Sie einer Stunde Schlaf beraubt hat, denken Sie darüber nach, dass Sie es ein paar Herren zu verdanken haben, die im Jahre 1884 sich daran machten, die Natur zu kontrollieren.