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Stadtleben

Die „Studentenpassage“ verschwand – mit der „Flotten Theke“ wird Kontinuität gewahrt

“Eh Dietrich, gefälls Dir hier?”, gröhlt Eddie durch den Gastraum in der Scharrnstraße. “Hier, nö, zu Hause is besser”, erwidert der Mann im gelben Nicki. “Ick meine besser als drüben, in die Malzgasse!”. Dietrich will nicht mit Eddie sprechen, er säuft schon wieder, auch wenn er gerade erst bei Weißer mit Schuß angelangt ist. “Zuhause is it besser, da hab ick meen Wellensittich”, beendet Dietrich das Gespräch. “Also ick find det hier besser, als in den Schloch da drüben”, meint Eddie. “Und Du Bodo?”. Dieser ist noch nüchtern. Dennoch ist sein Gesicht hochgerötet, der Schweiß läuft von den Haaren über die Schläfen, unter dem großen Brillengestellt durch, über die Wangen und tropft auf die beige farbene Weste. “Hier is doch jut, der Chef bezahlt nich mehr so viel Miete wie drüben und Platz is och mehr, stimms Detlef?” Der hat schon ordentlich einen in der Krone und meint: “Jenau, hier ist Raucher und da ist Nichtraucher”.

Auf Anhieb bin ich am Stammtisch der Dauertrinker gelandet. Es war mein Traum, irgendwann nicht mehr vorbeizugehen und einfach in die Studentenpassage zu gehen, um Mittag zu essen. Später habe ich mir gewünscht mit den Gästen zu sprechen — ich wollte ihre Geschichten hören. Das Lokal in der Schmalzgasse, gleich neben dem Sparkassenautomaten, den es nicht mehr gibt, seit das “Monetarium” am Marktplatz eröffnet wurde. Früher war hier noch ein Getränkestützpunkt, dann nur noch die Theke, eine offene Küche, anderswo Showküche genannt, in der deutsche Hausmannskost zum fairen Preis zubereitet wurde. Hier verkehrten Bauarbeiter, Frührentner, Arbeitslose, Angestellte, Alkoholiker — nur kein Student war dabei. Hier wurde schon am Morgen Bier getrunken. Zum Mittag war das Rauchen verboten. Doch ich habe mich nie über die Schwelle getraut. Die Studentenpassage war nicht wirklich einladend, versteckt unter den Betonarkaden aus den 1980er Jahren, wirkte der Anblick der Stammgäste auf einen Neuankömmling elend und abstoßend.

Eines Tages verabredete ich mich mit dem Chef des Frankfurter Philatelistenvereins Klaus Köstel in der Studentenpassage. Endlich gab es einen Anlaß das Lokal zu betreten. Er zeigte mir seine Fotodokumentation des Baus der neuen Stadtbrücke, ich übergab ihm ein Betonstück von der alten Brücke zusammen mit einem kurzen Abriss zu deren Geschichte. Er erzählte mir, wie er von einer Frankfurter Ausbildungseinheit der NVA in die Wohngeldstelle der Stadt gewechselt war. Nachdem eines Tages seine Stelle gestrichen wurde, ist er nun arbeitslos. Ehrenamtlich betreut er seitdem den Verein der Frankfurter Philatelisten. Außerdem sammelt er derzeit alles, was in der Stadt mit Kleist zu tun hat, fotografiert Gedenktafeln, Schulfeste und sucht Abbildungen, Urkunden und andere Zeugnisse. Köstel fragte, wo ich her käme. Ihn interessiert, was die Studenten in der Stadt so treiben. Er empfahl mir Fisch. Ich bestellte dazu wie er ein Bier. Er kennt den Inhaber Siegfried Bohr seit Jahren. Dieser wollte in den nächsten Tagen umziehen — um die Ecke. Der Vermieter hätte vermessene Vorstellungen gehabt.

Im neuen Lokal, in dem noch kürzlich ein Web-Café existierte, ist nun wieder die offene Küche zu sehen. Die Gerichte, von Kartoffelsalat über Schnitzel bis zur Backforelle sind die gleichen geblieben, auch die Preise haben sich nicht verändert. Das Publikum ist mitgezogen. Noch immer das Nebeneinander von einer Hand voll Säufern, in der Innenstadt arbeitenden Angestellten, am Marktplatz tätigen Bauarbeitern, in den umliegenden Häusern wohnenden Rentern, die hierher kommen, weil das Essen gut und preiswert und die Bedienung freundlich ist. Und noch immer verkehrt hier kein Student. Die polnischen und deutschen Viadrinastudenten, die täglich durch die Scharrnstraße eilen, würdigen die “Flotte Theke” keines Blickes. “Ja als die Universität gegründet wurde, dachten alle, wir wollen dabei sein und was tun”, erklärt Siegfried Bohr die frühere Namensgebung. “Aber es hat eben nicht geklappt, wir haben uns getäuscht.”

Bodo, Detlef und Eddie machen sich gerade über einen Herrn am Spielautomaten lustig, der einen Vollbart und langes Haar trägt. “Sach mal ehrlich Eddie, is doch abartig, oder Eddie”, meint Detlef. “Ja dit ist nich schön, und dit sieht dann so fettich aus”, erwidert dieser. “Naja, laßt ma erst ma anstoßen, könn wa ja froh sein, da wa noch wat druf haben uff´n Kopp” — Eddie erhebt sein zweites Glas Berliner Weiße. “Na zdrowie”, stößt Detlef zum Spaß an. Er hat in Słubice eine Freundin, die heißt Beata, und hat zwei Wohnungen. Sie zahlt 30 Euro Miete im Monat. Als ich mein Glas auch mit “Na zrowie” erhebe, dreht sich Eddie zu mir um: “Bist Du Deutscher?”. Als ich antworte, daß ich in Słubice lebe, entbrennt ein heftiger Streit über meinen Akzent. Letztlich beschließt der Stammtisch, daß ich doch Deutscher bin. Ich muß lachen, weil ich Eddie bereits aus Słubice kenne. Dort findet er regelmäßig nur torkelnd den Weg vom Arkadia, wo vornehmlich Deutsche verkehren, die von Sozailhilfe leben, zurück nach Frankfurt. Unterwegs gröhlt er alle Passanten an, wünscht ihnen einen guten Tag, fragt taumelnd nach dem Befinden und versucht, Frauen wie Männer anzufassen. Nun versucht Bodo abzulenken. Er erzählt von den guten alten Zeiten. Damals war er mit Eddie bei der Großbäckerei Goethestraße. Gerade war er von der NVA-Infanterie in das Kombinat strafversetzt worden, und schon wurde er dort wieder als Heizer entlassen, weil er nebenbei mit Kaffee, Zigaretten und Zement handelte. Eddie war Bäcker. Damals.

Am Abend sehe ich ihn wieder durch die Zigarettenstraße nach Frankfurt torkeln.