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Stadtleben

Zierlich harte Souvenire – Erinnerung an eine real-existierende Zeit

Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Tabletten. Doch kaufen kann man sie nur im Lebensmittelgeschäft. Sie sind bunt und süß, rund und hart. Außer natürlichem enthalten sie naturidentisches Aroma. Obwohl sie mit E-104, E-101, E-123 und E-132 künstlich gefärbt werden, schmecken sie wunderbar. Gegen Sonnenlicht gehalten schimmern bunte Muster durch die kremfarbene, harte Oberfläche. Es erscheinen Blumen, Pilze und nicht zu identifizierende mystische Wesen. Im Rachen lösen sich diese Bestandteile zuerst auf. Schon nach kurzer Zeit wird die Oberfläche uneben und nach wenigen Minuten kann man durch die entstanden Löcher ein- und ausatmen. Jedes Bonbon hinterläßt nach dem Lutschen den Geschmack einer untergegangenen Welt. Das Paradies der Kindheit.

In der DDR wurden Bonbons aus der Volksrepublik Polen sehr geschätzt. Bessere aßen nur diejenigen, die Westverwandte hatten. Polnische Süßigkeiten hingegen waren eine angenehme Abwechslung vom DDR-Alltag. Dabei waren die Lutscher mit jenen Mustern anders – es handelte sich weder um eine billige Kopie von chinesischen Kaugummis noch um ein Lizenzprodukt aus dem Westen. Ich stürzte mich damals nicht auf sie, aber wenn es soweit war, genoss ich. Dass heute in Krotoszyn eben diese in winziger Ausführung hergestellt und in Tablettenverpackungen vertrieben werden , ist ein sonderbares Zeichen. Auch wenn ich mich keineswegs nach der DDR sehne, trage ich jederzeit eine Packung als Medizin für die Sehnsucht nach der Kindheit mit mir – zierlich harte Souvenire.