:: Politisches aus Frankfurt (Oder) ::

Reden

Redebeitrag zur Mahnwache für die Opfer der Lampedusa-Katastrophe

Seit 1988 hat das europäische Grenzregime ein Massengrab im Mittelmeer mit über 20.000 Flüchtlingen zu verantworten. Als scheinheilig kann daher die derzeitige Betroffenheitsrethorik von nationalen Regierungen, u.a. Deutschland und deren Vertreter_innen auf EU-Ebene mit Bezug auf die letzte und größte Flüchtlingskatastrophe mit über 230 Toten bezeichnet werden. Denn Lösungsansätze die über eine weitere verstärkte Flüchtlingsabwehr hinausgeht sind nicht ersichtlich. Diskutiert wird lediglich wie man Flüchtlinge sicherer in ihre Herkunftsländer zurückschieben kann. Deutschland ist einer der Hauptakteure auf europäischer Ebene, sowie einer der Hauptprofiteure aus Armut, Kriegen, Rüstungsprofiten und postkolonialen Ausbeutungsstrukturen, sowie Flüchtlingsabwehrgesetzen wie Dublin II und III. Es ist daher bezeichnend, dass Deutschland als eines der ersten Länder die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ablehnt, um weiterhin für die Folgen der eigenen Politik nicht zahlen zu müssen. Menschenrechtsverletzungen an Geflüchteten sind in Europa und Deutschland an der Tagesordnung. Sie werden systematisch entrechtet, mit politisch motivierten Strafverfahren überzogen und letztendlich in Lager und Abschiebeknäste eingesperrt und größtenteils wieder abgeschoben.

Um auf diese Problematik wiederholt aufmerksamm zu machen sind gestern in Berlin 25 Geflüchtete vor dem Brandenburger Tor in den Hungerstreik getreten. Heute Mittag haben ca. 20 weitere protestierende Flüchtlinge und Unterstützer_innen die Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin besetzt.

Ich Zitiere aus der Erklärung der Streikenden Non-Citizens:

Wir Non-Citizens sind jetzt im Namen der Menschen und der Menschlichkeit in dieser Gegend präsent. Wir, aus verschiedenen geographischen Regionen der Welt, überquerten die Grenzen, um hierher zu gelangen. Der Grund dafür ist, dass sogenannte sichere Länder, wie Deutschland, die Sicherheit derer Länder mit Strukturen und Werkzeuge wie Kriegsführung, Überwachungsinstrumentarien, Methoden der Unterdrückung etc. in ihrer Stabilisierung zerstören

Wir mussten jene Gebiete verlassen wegen dieser Besetzungen und den Attacken auf die Sicherheit dieser Länder. Um sicher zu sein, waren wir gezwungen, eine neue Region als unseren neuen Wohnort zu nehmen. Aber in diesen sogenannten sicheren Ländern mussten und müssen wir noch immer unsere Leben riskieren, auf Grund von Gesetzen, welche sich gegen die Menschlichkeit und die Menschenrechte stellen – verabschiedet von eben jener Regierung. In dieser Gesellschaft sind wir nicht gleich. Diese Gesetze geben uns nicht die gleichen Rechte, wie sie andere innehaben, nur weil sie die Papiere der Staatsbürgerschaft besitzen. Diese Gesetze produzieren „Ausländer“ und errichten Mauern zwischen Menschen. Diese Regierung mit diesen Gesetzen will uns einsperren, in Lager.

Aber um dieser harten Situation, also dem langsamen Sterben Tag für Tag im Lager, sowie dieser ungleichen Stellung ein Ende zu setzen und eine rote Linie zu ziehen, organisierten wir verschiedenen Proteste in ganz Deutschland, wie z.B. Protestcamps in Eisenhüttenstadt und Berlin, mehrere Hungerstreiks und einen langen Marsch von Würzburg und Bayreuth nach München im Jahre 2012. Wegen dem beschämenden Verhalten verschiedener Behörden und anderer Ämter, welche eine Haltung zeigten, wie z.B. uns das Sprechen am Runden Tisch für die Anerkennung unserer Anträge vom „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ zu verweigern, sehen wir Non-Citizens uns dazu gezwungen, wieder auf die Straßen zu gehen. Wir wählen wieder den Weg des Hungerstreiks, denn wir wollten und wollen immer noch nicht im Lager, in welchen uns die Regierung für einen stillen Tod festzuhalten versucht, sterben. Wir entschieden uns, vor die Augen aller, in die Öffentlichkeit zu treten. Wir wollen diese grundlegende soziale Ungleichheit beenden, wir fordern einen gleichen Status, also die Anerkennung unserer Asylanträge. Wir Non-Citizens haben uns entschieden, wieder auf die Straßen zu gehen, dieses Mal in Berlin (Brandenburger Tor), und wir werden den Hungerstreik so lange weiterführen, bis unsere Forderung, welche die Akzeptanz unserer Asylanträge ist, wahr wird.

Zitat Ende

Mit dem Protestmarsch im Herbst 2012 und erreichte der Widerstand eine neue Dimension. Seitdem gab und gibt es auch regional immer wieder Aktionen gegen Abschiebung, Arbeitsverbot oder Residenzpflicht – wie zum Beispiel in Bitterfeld, Nürnberg, München, Würzburg, Hamburg, Berlin, Stuttgart oder Wien und letzten Sonntag auch in Teltow. Auch in der brandenburgischen Kleinstadt Eisenhüttenstadt gab es in den letzten Monaten verschiedene Protestaktionen gegen die “Abschiebefabrik”.

Am Mittwoch, dem 28. Mai, nahm sich ein 21-jährige Djamaa Isu in der Eisenhüttenstädter ZAST das Leben. Nach dem Suizid demonstrierten am 3.Juni 250 Menschen in Eisenhüttenstadt. Vor Beginn der eigentlichen Demonstration verschafften sich Protestierende Zugang zu dem Gelände der ZAST, solidarisierten sich mit den Bewohner*innen und hielten eine Trauerfeier ab. Zur Überraschung der Polizei und des Sicherheitsdienstes versuchten einige Protestierende später die Zäune zum Abschiebegefängnis zu überwinden. Außerdem wurde das Eingangstor stark beschädigt, was für Jubelszenen unter den inhaftierten Flüchtlingen sorgte.

Unter dem Titel “Justiz gnadenlos” veröffentlichte am 2. Juli das ARD Politmagazin Report Mainz einen sieben minütigen Beitrag über die Urteile der am Amtsgericht Eisenhüttenstadt tätigen Richterin Heidemarie Petzoldt. Von ihr wird Geflüchteten in ausfallender Art und Weise ihr Grundrecht auf Asyl abgesprochen. Teilweise werden angeklagte Flüchtlinge innerhalb von zehn Minuten verurteilt. Weiter unterstellt sie Asylsuchenden, dass “deren Lebensunterhalt in der Regel durch Straftaten verdient wird, meist durch Schwarzarbeit” und bezeichnet Asylsuchende u.a. als “Asyltouristen” und als ein “Heer der Illegalen”. Zwischenzeitlich beschäftigte sich die Staatsanwaltschaft Frankfurt(Oder) mit den umstrittenen Urteilen und der Art der Rechtssprechung.

Aufgrund der Vorkommnisse und Negativberichte der vorhergehenden Wochen errichteten am 16. Juli ca. 30 Refugees und Aktivist*Innen für zehn Tage ein Informations-, Kommunikations- und Solidaritätszelt vor dem Eingang der ZAST in Eisenhüttenstadt. Politisch motivierte Aufhebung der Gewaltenteilung, Hungerstreik im Abschiebeknast, Abschiebungen, sowie der Suizid von Djamaa Isu und weitere Suizidversuche waren die Hauptgründe dafür. Vier Tage vorher traten zehn von damals 13 Inhaftierten in einen Hungerstreik. Ihre Forderungen waren unter anderem die Aufhebung der Haft und aller Abschiebebescheide sowie ein freier und kostenloser Zugang zu Rechtsschutz und Dolmetscher*Innen. Die Eisenhüttenstädter Behörden und das Brandenburgische Innenministerium ignorierten die Forderungen. Trotz teilweisem Hausverbot konnte während der knapp zwei-wöchigen Aktion vor der ZAST der Kontakt zu den Hungerstreikenden und Bewohner*innen des völlig überfüllten Lagers intensiviert werden.

Bei all dem Rummel um die Zustände in Eisenhüttenstadt versuchte auch die NPD zwei Wochen nach dem Protest-Camp die Stimmung für sich zu nutzen. Knapp 30 Neonazis samt NPD-Laster planten eine Kundgebung in direkter Nähe zur ZAST. Als 20 Antifas ihnen den Weg zu ihrem Kundgebungsort versperrten, griffen einige befaffnete Neonazis die Antifaschist*innen an. Ihre Kundgebung wurde daraufhin untersagt.

Seit dem 27. September ist laut Innenministerium ein Psychologe in der Erstaufnahmestelle in der ZAST in Eisenhüttenstadt beschäftigt. Von Seiten des Flüchtlingsrates Brandenburg, aber auch während der Protestaktionen des Netzwerkes im Juli wurde immer wieder die fehlende, unabhängige psychologische und medizinische Versorgung der in Eisenhüttenstadt lebenden Geflüchteten bemängelt. Nun versuchen sich die verantwortlichen Behörden in Eisenhüttenstadt und Potsdam ein humanes Image zu geben.

Fakt ist jedoch, dass ein einziger Psychologe, welcher für nur acht Stunden die Woche, traumatisierten oder anderweitig psychisch belasteten Menschen helfen soll, keine adäquate Lösung, sondern nur eine Alibi-Verbesserung ist. Auch ist nicht bekannt, ob ein Übersetzungsangebot für die psychologische Betreuung existiert. Außerdem wird dabei völlig außer acht gelassen, dass viele psychische Probleme durch die Lebensbedingungen im überfüllten Lager und dem unmenschlichen Abschiebeknast erst verstärkt werden. Ständige Überwachung, Wohnräume mit nur wenigen Quadratmetern Platz pro Person sowie die ständige Präsenz des Abschiebeknastes können bei vorbelasteten Geflüchteten starke psychische Probleme hervorrufen. Statt einer staatlich verordneten Kosmetik müssen bereits bestehende, unabhängige Betreuungsangebote, wie zum Beispiel die ambulante Diagnose- und Behandlungsstelle für traumatisierte, psychisch kranke und schutzbedürftige Flüchtlinge in Fürstenwalde unterstützt und ausgebaut werden.

Wir fordern:

1. Ein Recht auf Asyl und Asylverfahren für alle – das dem Namen gerecht wird – Schnell- und Flughafenverfahren abschaffen!

2. Abschreckungs- und Repressionspolitik gegen Flüchtlinge beenden – Flucht ist kein Verbrechen!

3. Alle Abschiebungen stoppen!

4. Lager und Asylknäste abschaffen!

5. Gleiche Rechte für alle, unabhängig vom Aufenthalts- oder dem sozialen Status!

6. Rassistische und sozial ausgrenzende (Sonder-)Gesetze abschaffen!

7. Konsequente Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen!

8. Gesellschaftliche Teilhabe in allen Bereichen – gleichberechtigter Zugang zu Arbeits- und Wohnungsmarkt, Aus- und Weiterbildung und Bewegungsfreiheit für alle!

9. Beendigung aller Ermittlungsverfahren und Rücknahme aller Urteile wegen angeblicher illegaler Einreise oder Verstoßes gegen die Residenzpflicht!

10. Zivile Unterstützung für Flüchtlinge statt militärischer Aufrüstung zur Abschottung und Überwachung durch Frontex etc.!

11. Segregation nach sozialen oder rassitischen Auswahlkritierien sofort beenden!

12. Aufnahme aller derzeit in Deutschland befindlichen Flüchtlinge nach §23 Aufthenaltsgesetz!

13. Freie Auswahl des Aufenthaltsortes in Europa und Deutschland – Dublin II und III, sowie Drittstaatenregelung abschaffen!