:: Politisches aus Frankfurt (Oder) ::

Stadtleben

Späte Aufregung

Es ist schon erstaunlich, dass die MOZ erst vier Wochen später darüber berichtet. Wenn jemand, wie Michel Garand, die Interessen der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft vertritt, verdient das nicht nur Anerkennung, sondern auch den Blick auf den Inhalt seiner Kritik.
Der offene Brief des Ausländerbeauftragten Michel Garand an den Oberbürgermeister und die Stadtverordneten stammt bereits vom 9.9.2010.

Er ist bitter enttäuscht über die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung am 6.5.2010, auch nur die dezentrale Unterbringung der Asylbewerber zu prüfen, stattdessen wird an der Sammelunterkunft Seefichten festgehalten, mit allen Problemen, die das jahrelange Zusammenleben unterschiedlichster Menschen auf engstem Raum mit sich bringt. Die dezentrale Unterbringung ist nicht nur menschenwürdiger, sondern vielleicht sogar preiswerter. Für die Verweigerung dieser Prüfung fällt mir auch keine andere Vokabel als „institutioneller Rassismus“ ein. Ich wünsche dem Sozialausschuss für seine heutige Sitzung eine offene, sachliche und ergebnisorientierte Diskussion über das Thema und keine Schuldzuweisung an den Ausländerbeauftragten, den Überbringer der schlechten Nachricht.

Solchen Äußerungen mit Disziplinierung zu begegnen, anstatt den Ursachen dieses Vorwurfs zu begegnen, zeigt, dass den Verantwortlichen nicht an dem Wohl der nichtdeutschen Mitbürger_innen gelegen ist. Das Motto “Freundliches Frankfurt” erweist sich wieder als leere Floskel.

Dass die Weigerung der Stadtverordneten, sich für die Belange der Asylsuchenden einzusetzen, auf einem von ihnen und der Verwaltung praktiziertem institutionellen Rassismus beruht, ist offensichtlich. Die Auslegung der Asylgesetzgebung zugunsten der Betroffenen ist in anderen Städten, etwa in Cottbus, bereits gängige Praxis. Doch in Frankfurt (Oder) scheint es kein Interesse an einer Überprüfung der momentanen Wohnsituation zu geben. Sehr richtig greift Michel Garand in seinem Brief den Versuch des Stadtverordnetenvorsitzenden, Herr Peter Fritsch, auf, welcher mit seinem überraschenden Besuch im Heim Seefichten versucht, den Kritiker_innen, zu welchen ich mich ebenso zähle, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Dass das Wohnen im Asylbewerber_innenheim Seefichten nicht menschenwürdig ist, scheint einem Großteil der Stadtverordneten nicht klar zu sein. Es ist fraglich, ob sie sich die Zustände dort je wirklich vor Augen geführt haben. Denkbar wäre, dass die Stadtverordneten einen genaueren Einblick in das Leben der Flüchtlinge dadurch gewinnen würden, wenn sie für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten ihren Wohnort nach Seefichten verlegten.

Die Flüchtlinge leben dort abgeschieden von der Frankfurter Gesellschaft in einem tristen, aus drei Wohnblöcken bestehenden Gebäudekomplex, der mit einem hohen Zaun umgeben ist. Die untergebrachten Menschen sind der ständigen Kontrolle durch den ansässigen Sicherheitsdienst ausgesetzt. Die gemeinschaftlich zu benutzenden sanitären Einrichtungen und Küchen sind teilweise in einem desolaten Zustand. Die Zimmer sind 12 m² groß und laut Asylbewerberleistungsgesetz für zwei Personen angedacht. Da das Heim derzeit nicht voll belegt ist, haben die Flüchtlinge diese Zimmer meist für sich allein zur Verfügung – ein schwacher Trost.

Es scheint somit klar, woran die Dezentralisierung der in Seefichten verbliebenen Flüchtlinge bisher scheitert – an der Finanzierung. Dass hier ein Leben in Würde gegen Geld abgewogen wird, ist verurteilenswert und zeugt von einem strukturellen Rassismus in Teilen der Stadtverordnetenversammlung. Der Gebäudekomplex ist nämlich im Besitz des Landes Brandenburg; dieses kofinanziert die Unterbringung der Flüchtlinge in Seefichten.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Dezentralisierung scheint auch der Diskussion um mögliche Alternativen ein Ende bereitet zu sein. Denkbar wäre beispielsweise die Erhaltung des Heims für neu ankommende Asylsuchende und deren Unterbringung dort für eine Zeit von maximal drei Monaten. Anschließend sollte diesen dann eine eigene Mietwohnung zur Verfügung gestellt werden.

Eine Unterbringung aller Bewohner_innen in Wohnungen muss sofort erfolgen. Die dortige Wohnsituation ist nicht länger tragbar. Den Migrant_innen muss außerdem die Möglichkeit gegeben werden, nach den oft traumatisierenden Erfahrungen in ihren Heimatländern Zugang zu einem Leben inmitten der Frankfurter Gesellschaft zu finden. Solange dies nicht geschieht, bleibt das Gerede von einem „Freundlichen Frankfurt“ nur ein leeres Versprechen.