:: Politisches aus Frankfurt (Oder) ::

Stadtleben

Das Haus der Träume – Der Traum vom Haus

(Blogbeitrag von Mathias Richel bei Zeit Online) Ich war 19 Jahre alt, als ich meine Heimatstadt verließ. So wie es schon viele Jugendliche meines Alters vor mir taten. Von meiner Abiturklasse wohnen nur noch zwei Mitschüler in der Grenzstadt – meinem Frankfurt (Oder).

Es ist die Mischung aus Perspektivlosigkeit, Enttäuschung und Resignation, die so viele in die Flucht schlägt, denn vor allem drei Schlagworte verbindet man mit der Stadt: Arbeitslosigkeit, Chip-Fabrik und Neonazis. Nicht gerade Attribute, mit denen man sich gern schmückt. Dass Frankfurt mehr zu bieten hat, bemerkt dann der Besucher auch recht schnell. Die Innenstadt hat eine Grundsanierung erfahren und braucht sich mit diesem neuem Outfit nun wirklich nicht zu verstecken. Ganz zu schweigen von der Europa-Universität, die sich zu Recht einen hervorragenden Ruf erkämpft hat. Ein riesiges Potenzial, doch der Aufschwung Ost ist immer noch der meist zitierte Traum in der Region.

Lehrstellenmangel und Frustration treiben nicht nur viele in die Flucht, sondern auch unerträgliche Blüten. Der Neo-Nazi-Dresscode gilt immer noch als chic und Übergriffe auf Menschen anderer Herkunft, mit anderem Aussehen oder eben mit einer anderen Meinung, als die der selbsternannten Retter einer pseudodeutschen Leitkultur, gehören nach wie vor zum Alltag der Stadt. Doch es gibt jene Mädchen und Jungens, die diese bestehenden Zustände nicht akzeptieren und versuchen, diese ganz praktisch zu bekämpfen oder zumindest in das Bewusstsein der Bevölkerung der Stadt zu bringen. Das passiert im Kleinen, durch Jugendarbeit oder auch im Großen, wenn eben eine Neonazi-Kundgebung durch Sitzblockaden zum Stehen gebracht wird, während der so genannte Aufstand der Anständigen das Aussitzen vor dem Fernseher probt und sich damit selbst blockiert. Doch es ist schwer, gegen die örtliche Hegemonie der stillen Akzeptanz anzugehen. Wenn Zuhause die eigenen Probleme das Leben schwer machen, Arbeitslosigkeit die Familien belastet und die Leute in dem vermeintlichen Bewusstsein leben, sowieso nichts an den bestehenden Zuständen ändern zu können, dann kommen die adretten Kameraden doch ganz recht, wenn sie “Arbeit zuerst für Deutsche” fordern, mit ihrem anständigen Haarschnitt und den mit Runen bedruckten Markenpullovern, die schon lange Ausdruck einer unerträglichen Jugendkultur geworden sind. NPD und Kameradschaften akquirieren munter drauf los und geben leichte Antworten. Entsetzt reagieren die Verantwortlichen an höchster Stelle und antworten mit Verbotsverfahren, um dann zu scheitern, anstatt an die Wurzel des Problems zu gehen. Teil der rechten Kultur zu sein, vermittelt für die Mitläufer vor allem ein Gefühl der Stärke. Die Stärke des Wir, die Kraft der Gemeinschaft und es ist ein Familienersatz, denn oft genug zerbrechen bestehende, intakte Bindungen an den Problemen des Alltags. Die rechte Jugendkultur hat die Straßen der Stadt längst für sich eingenommen. Die meisten Jugendclubs sind fest in den Händen dieser Gruppen. Wo kein Raum für alternative Angebote jenseits des rechten Mainstreams ist, so dachten sich linke Jugendliche am vergangenen Wochenende, da muss man sich Raum nehmen und so kam es seit vielen Jahren zur ersten Hausbesetzung in der Stadt.

Das “Haus des Lehrers”, eine grau verputzte Stadtvilla im Zentrum, stand drei Jahre lang leer, wurde aber mit ein paar Handgriffen wieder an die Infrastruktur der Stadt angeschlossen. Strom und Wasser. Ideale Ausgangslage für das ambitionierte Projekt eines sozialen Zentrums: Eine WG sollte geschaffen, Seminar- und Büroräume eingerichtet und Party- und Konzerträume zur Verfügung gestellt werden. Dass es Bedarf an einer solchen Einrichtung gibt, haben wohl auch die Stadtoberen erkannt. Schwer lässt sich die vorübergehende Duldung durch die amtierende SPD-Bürgermeisterin Katja Wolle anders deuten, mit der sie gegen die von Brandenburgs Innenminister Schönbohm ausgegerufene Null-Toleranz-Strategie, die eine Räumung von besetzten Häusern innerhalb von 24 Stunden vorsieht, verstiess. Am Dienstag wurde nun doch geräumt, keine vier Tage nach der Besetzung. Friedlich, aber mit viel Polizei und zahlreichen Zaungästen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Volkes Wille wurde endlich einmal Genüge getan – die Ordnung ist wieder hergestellt und alle können sich wieder beruhigt durch die Fernsehlandschaft zappen. Eine Frage müssen sich aber alle Entscheidungsträger dieser Stadt stellen lassen: Was passiert, wenn solche engagierten Menschen wie diese Jugendlichen auch die Stadt verlassen – entmutigt und ohne Perspektiven?