:: Politisches aus Frankfurt (Oder) ::

Stadtleben

Der Osten ist los! Open-Air-Schauspiel am Rande Deutschlands.

Schienen enden im Nirgends. Die riesige Wellblechhalle steht leer. Eine kaputte Telefonzelle mitten auf einer Betonfläche. Aus den Teerfugen wächst Gras. Die Zuschauer wissen genau wo sie sind. Sie kennen das Gelände am Rande Frankfurts noch aus Zeiten, da hier der Allkauf als erster bundesdeutscher Supermarkt voller Schnäppchen zum Ausgeben der ersten selbst erwirtschafteten Westmark einlud. Seit dem ist ein ganzes Jahrzehnt ins Land gegangen, das Frankfurt der achtziger Jahre ist untergegangen, mit ihm die Welt der volkseigenen Errungenschaften, das Halbleiterwerk, die Große Scharrnstraße als Einkaufsparadies und Neuberesinchen als Hort familiären Wohnglücks. Und was ist geblieben? Brachland, dass noch immer des Frühlings harrt. Eine leerstehende Durchgangsstraße, in der nachts Füchse wandeln. Ein Wohngebiet in Auflösung.

Regisseur Hans-Joachim Frank nimmt diese Situation wahr. Er brachte mit “It work´s” einen Stoff nach Frankfurt, der hier in der Luft liegt. Frank greift die Situation zwischen Untergang und Nostalgie auf, er weiß um die Ängste der Frankfurter, er hat sie schimpfen gehört — wie die Rohrspatzen — weil er ihnen zuhörte. Abends in den Kneipen der Stadt, die trotz aller Unkenrufe lebt. So war er in der Lage mit mehreren Laiengruppen aus Frankfurt und Słubice zusammenzuarbeiten, die sich sonst in ihren hiesigen Kreisen bewegen: der von der berüchtigten ZDF-Reportage aus dem Jahre 1999 traumatisierte Chor der Volkssolidarität, die sonst eher im stillen wirkenden Schauspieler des Seniorentheaters “Spätlese” und der Chor der Słubicer Musikschule Adoramus. Sie alle treten im Stück auf und bescheren dem witzigen Text von Oliver Bukowski einen Platz in der hiesigen Realität. Das Publikum ist begeistert von der neuzeitlichen Inszenierung der untergegangenen Welt, egal ob aus Nostalige oder Ironie … — die ostalgische Show schafft gleichzeitig Angriffsflächen und Identifikationsmomente. Man darf sich zugleich ernst genommen fühlen und laut lachen.

Es gibt in Frankfurt eine ergraute Elite, die keine mehr ist. Sie ist unsichtbar und doch lebt sie noch. Man spürt eine vergangene Gegenwart, die nicht Geschichte werden will. Frankfurt ist eine Stadt, die sich neu erfinden will und sich gleichzeitig selbst verleugnet, eine Stadt, die immer wieder Journalisten und Hobbyschriftsteller aus dem Westen anzieht, die erfahren wollen, wie der Osten ist. Sie wissen schon, dass er nostalgisch, rechtsradikal und vermieft ist.

Doch in “It work´s” wird der Spieß umgedreht, der Osten schlägt zurück. Der Chor der Volkssolidarität bekommt einen Auftritt in Würde und siehe da — er singt nicht die Nationalhymne der DDR sondern “Heut ist ein wunderschöner Tag”. Die Mitwirkenden des Theaters Spätlese sind in ihrer etwas biederen Art die überzeugendsten Akteure des Abends. Der Chor Adoramus tritt zwar im volkstümlichen Kostüm auf, hat aber sichtlich Spaß an der spielerischen Demonstration von Völkerfreundschaft. It work´s ist die Geschichte einer symbolischen Liebe eines dekadenten, erfolgreichen Wessi-Kerls und eines kommunistischen Weibes vom ostdeutschen Dorf. Nachdem sie sich ausführlich beschimpft haben, beschließen sie, die Welt auf den Kopf zu stellen, und in den noch immer nicht blühenden Landschaften ihren privaten Kommunismus auszurufen. Es funktioniert, wie es eben so funktionieren kann im realexistierenden Sozialismus: im täglichen Widerspruch und unter der konsequenten Leugnung von Niederlagen — aber im festen Glauben an das Gute im Menschen. Doch was nicht sein darf, ist nicht zuzulassen. So schwingt sich die bundesrepublikanische Öffentlichkeit, im Stück angeregt von einer schlanken Fernsehmoderatorin, die sich nicht scheut für die Menschen daheim von vor Ort zu berichten. Ein Bundeskanzler läßt das aufsässische Dorf einkreisen. Das Spektakel nimmt eine unvorhergesehene Wendung.

Der Abend am Rande der Stadt lädt ein zu einer Gradwanderung zwischen Traum und Albtraum: was für die einen wie ein netter Versuch wirkt, Perspektiven aufzuzeigen, ist für die anderen unverständlich — das Staunen über das Aufgebot an Technik und Bewegung, wird abgelöst von der Verwunderung über die nicht immer nachvollziehbaren dramaturgischen Wendungen. Die Freude über viele vortreffliche Bemerkungen zur Gegenwart mischt sich mit den Zweifeln an der Darstellung des Vergangenen. Die Wärme, die viele Zuschauer angesichts der liebevollen Inszenierung der Frankfurter Kulturschaffenden überkommt, geht im Laufe des Abends in der Kälte der Nacht unter, die alle Anwesenden frösteln läßt.