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Stadtleben

Kleist steht Kopf – aber es wird noch besser

Des Nachts wandert ein voller Mond über das Dach des Collegium Polonicum, kühn wirkt der kostruktivistisch gehaltene Schornstein, glänzend die Oberflächen der Fassade. Davor wehen zwei rote Fahnen. Sie sollen die heute beginnenden Kleist-Festtage ankündigen. Doch sie zeugen zunächst von einer recht freien Interpretation der Handschrift Kleists — bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass die Fahne und mit ihr das Autogramm des Dichters verkehrt herum hängt.

Wer meint, das Malheur geschah in Folge der Unkenntnis auf polnischer Seite, irrt. Auch vor dem Gebäude der einstigen Frankfurter Bezirksparteischule wehen die roten Fahnen entgegen der üblichen Lesart “mit den den Beinen nach oben”, wie man auf Polnisch zu sagen pflegt. Doch wer weiß, ob dies nicht bereits zum Programm der Festtage gehört? Dieses wurde von einem Zitat Kleists aus dem Traktat “Über das Marionettentheater” hergeleitet:

“Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.”

Auf jene Reise haben sich die Kuratoren, Organisatoren und Studenten begeben, die in diesem Jahr zusammen ein ganzheitlich gestaltetes Programm anbieten, dass wie in den Jahren zuvor schwer zu überschauen, aber zumindest im Internet unter www.kleist-festtage.de einzusehen ist.

Auf der Suche nach dem Eingang zum Paradies begeben sich während des zehntägigen Festivals auch Studenten der Kunsthochschule Weißensee. Sie haben bereits den Schlüssel zu einem großen Saal im einstigen Horten-Kaufhaus erhalten — die Alarmanlage ist entsichert. slubice.de & frankfurt.pl schaute bereits am Vortag an der “Halben Treppe” vorbei, und erblickte Berliner Kunststudenten, die gewissenhaft die Terrassen und Treppen Frankfurts von Unrat befreien. (Sollten Sie die einschlägige Lokalpresse gelesen haben, die in Anlehnung an das Rathaus nach dem “Freundlichen” nun ein “Sauberes Frankfurt” propagiert?) Im Inneren des vormaligen Lichthauses Frankfurt werden die Utensilien für eine “Neueröffnung” vorbereitet. Unter dem schützenden Dach wird jeden Abend eine Vital-Bar mit Blick auf Lenné-Park, Lichtspielhaus der Jugend und den Oderturm betrieben, auf die zugemauerten Durchgänge werden bewegte Bilder projiziert. Und über dem Dach wird ein aufgeblasener Superman in die Lüfte steigen.

Obwohl im Horten-Komplex mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit ein Zugang zum Paradies zu finden ist, haben die Studenten vor, von hier in die imaginäre Stadt zu ziehen, um dort an verschiedenen Stellen zu unterschiedlichen Zeiten “zu intervenieren”. Wladimir Berozashwili wird im Oderturm “Über das Marionettentheater” lesen. Thomas Stüssel wird versuchen, mit einem Drachen Schmuggelgut über die Oder zu transportieren. Sara Riel verteilt in beiden Städten Püppchen, die sie liebevoll “In- und Ausländer” nennt. Halvor Haugen versucht unter Hilfe seines E-Mail-Accounts einen öffentlichen Text zu schreiben. Und Anna Konik schickt gemeinsam mit Susanne Weck eine wandelnde Sprachschule auf die Reise durch Frankfurt.