:: Politisches aus Frankfurt (Oder) ::

Stadtleben

Wie weit leben Frankfurt und Słubice voneinander entfernt

In der ulica Jednosci Robotniczej steht seit kurzem ein Wegweiser: Zielona Gora 85 km, Gorzow 79 km, Frankfurt n. O. 1 km. Sicherlich handelt es sich um eine gut gemeinte Geste von Seiten der Słlubicer Stadtverwaltung — man weist gerne auf die Nachbar- und Partnerstadt hin. Schließlich soll zum Festjahr je eine Straße in der gegenüber liegenden Stadt nach der anderen benannt werden. Sollte die Zigarettenstraße bald ulica Frankfurcka und die Rosa-Luxemburg- bald Słlubicer Straße heißen? Egal — schließlich haben beide Städte bereits die Europäische Plakette, das europäische Diplom und die Europäische Flagge für vorbildliche Zusammenarbeit erhalten — also können Frankfurt und Słlubice nicht weit voneinander entfernt liegen! Aber warum ein Kilometer, wenn in 450 Metern Nähe schon das deutsche Ufer beginnt? Warum steht auf dem Ortsausgangsschild am Frankfurter Brückenkopf “Słlubice 0,5 km”, obwohl die Brücke ganze 265 Meter lang ist? Reine Aufrundung, eine Formalie oder gar eine Lappalie?

Um so schöner ist es, dass es gemeinsame Fest gibt, die gemeinsam beworben werden. So auch das Oderfest, das mit einer nicht unerheblichen Summe aus Mitteln der Europäischen Union finanziert wird, und so den Veranstaltern an beiden Ufern der Oder ermöglicht, jeweils ein eigenes Plakat für das gemeinsame Oderfest zu drucken. Betrachtet man diese beiden Plakate zum ersten Mal, treten bereits viele Details zu Tage. So zum Beispiel der Größenunterschied — während auf der polnischen Seite das Format A2 gewählt wurde, druckte man in Frankfurt ein vier mal so großes Plakat. Während auf der deutschen Seite alle Veranstaltungen in Słlubice mitbeworben wurden, findet man in Słlubice keinen Hinweis auf die Programmpunkte in Frankfurt. Während das Fest auf Deutsch nur deutsch-polnisch heißt, wird es auf Polnisch als grenzüberschreitend bezeichnet. Aber die eigentliche Aussage des Plakates erschließt sich nicht auf den ersten Blick — dennoch dokumentiert es die Entfernung zum anderen Ufer sehr genau.

Auf dem Słlubicer Plakat ist ein Mädchen mit einem Zopf abgebildet, es steht an einer Balustrade und winkt. Es ist von hinten zu sehen, sodass man ihr Gesicht nicht erkennen kann. Im verschwommen Hintergrund ist der Frankfurter Holzmarkt auszumachen. Dazwischen, kaum erkennbar, die Zunge der Löweninsel und ein kleines Stück Oder. Was will uns dieses Bild sagen? Ein Mädchen aus Słlubice winkt nach Frankfurt über die Oder hinüber. Wie ist dieses Frankfurt? Es ist verschwommen, undeutlich — es hat kein Gesicht. Aber nein, in der rechten unteren Ecke befindet sich noch ein zweites ungleich kleineres, fast winziges Bild, auf dem ein anderes Mädchen mit zwei Zöpfen zu erkennen ist, das ebenso winkt — es scheint das Collegium Polonicum zu sein, wohin sich Ihr Gruß richtet, aber etwas stimmt nicht — das Bild ist seitenverkehrt. Diese Zusammenstellung macht den interessierten Zeitgenossen nachdenklich. Ist diese Spiegelung absichtlich? Sollte es sich wirklich um ein deutsches Mädchen auf der deutschen Seite und ein polnisches Mädchen auf der polnischen Seite handeln? Vielleicht ist es das selbe Mädchen mit unterschiedlichen Zöpfen? Oder wurden die Rollen getauscht? Warum ist das Mädchen auf der deutschen Seite so klein? Fragen über Fragen. Der Sinn und Zweck des Plakates ist immerhin schon erfüllt — es hat Aufmerksamkeit geweckt.

Betrachtet man das deutsche Plakat versteht man mehr: beide Mädchen sind gleich groß nebeneinander abgebildet. Ein Mädchen mit einem Zopf neben einem Mädchen mit zwei Zöpfen. Beide von hinten, beide ohne Gesicht. Findet man den deutschen Flyer mit dem Programm für beide Städte, versteht man noch mehr: es handelt sich scheinbar um ein Spiel mit der Spiegelung — auf einer zweiten Seite tauchen die bereits bekannten Hinterköpfe in umgekehrter Spiegelung auf — diesmal erscheint der Holzmarkt verkehrt herum. Doch die Mädchen winken sich noch immer leicht versetzt von Weitem zu. Ihr Gegenüber verschwimmt. Die andere Stadt ist unscharf, sie liegt sehr weit weg — im unklaren.