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Stadtleben

Warum Heinz S. sein Bein entblößte

Heinz S. ist ein rüstiger Mann. Mit 74 Jahren hält er das Zepter seines Lebens fest in der Hand. Die Menschen, die ihn umgeben, kommandiert er mit leicht zuckender Mine. Alles hat bei ihm seine Ordnung. Dabei leidet er unter einer inneren Unruhe, die es ihm verbietet, aus freien Stücken freundlich zu sein. Nur zwischendurch, meist wenn Bekannte aus der Stadt dabei sind, erheitert er die Gesellschaft mit Geschichten, die er zumeist von anderen gehört hat. Er trinkt jeden Abend ein Bier und dazu einen Braunen. Manchmal auch einen Klaren. Dann legt er sich schlafen, und wären da nicht die Gelenke, würde er fest entschlummern, bis ihn am Morgen um sechs die Gewohnheit aufstehen läßt. Besonders das Hüftgelenk macht ihm zu schaffen. Mit 17 ist er freiwillig zu Fuß nach Polen in den Krieg gezogen. Später stand er über Jahrzehnte als Materialprüfer in einer Fabrikhalle. Heute ist er Rentner. Und er läßt es sich gut gehen. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Brigitte K. vergnügt er sich von Zeit zu Zeit auf Familienfesten, er unternimmt Ausflüge in die Umgebung, nach Polen fährt er zum Tanken, manchmal auch zum Kaffeetrinken.

Kürzlich machte er sich nach einer eingehenden Behandlung seiner Gelenke auf den Weg zur Grenze. Er wollte zusammen mit Brigitte K. am anderen Ufer des Flusses Erdbeeren direkt am Feld kaufen. Im Ford Fiesta sitzend erörterte er mit Brigitte K. den steigenden Kurs des Euro, auf einem kleinen Block errechnete er auf den Cent genau den Kilopreis der Erdbeeren. Und gerade, als sie die deutsche Kontrolle hinter sich hatten, ertönte ein lautes Schrillen. Der Detektor für radioaktive Strahlen hatte Alarm geschlagen. Heinz S. lief rot an. Ein Schreck durchfuhr ihn. Sollte man ihm übel mitgespielt haben? Und schon im nächsten Moment erinnerte er sich daran, dass er heute eine Strahlentherapie erhalten hatte. Brigitte K. mußte laut lachen. Als ein Deutsch sprechender Offizier des polnischen Grenzschutzes erschien, lies er seine Hose herunter und zeigte ihm schnell das Pflaster an seinen Knien. “Spritze”, fügte er hinzu, als wäre er seiner Muttersprache kaum mächtig. Doch wie Heinz S. nun einmal war — er hatte alles dabei. So konnte er dem Offizier seinen Behandlungsausweis mit dem Eintrag der radioaktiven Therapie zeigen. Dieser winkte den Ford Fiesta lächelnd durch, sodass Heinz S. und Brigitte K. noch unbescholten den Kauf der Erdbeeren erledigen konnten. Mit einem Lächeln auf den Lippen kehrten sie zurück nach Deutschland. Diesmal löste Heinz S. keinen Alarm aus. Nun kann er allen Bekannten und Verwandten eine lustige Geschichte erzählen.